Unemployment in Germany in September2010

Quelle: FAZ

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Berlusconi gewinnt Vertrauen und verliert Mehrheit

// Italien

Nach dem Bruch mit Gianfranco Fini setzt der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi auf wechselnde Mehrheiten zum Machterhalt. Damit gewinnt er die Vertrauensabstimmung im Parlament – ein erster Schritt hin zum Ziel, sein Regierungsprogramm bis 2013 durchzubringen.

Von Jörg Bremer, Rom

Italiens Ministerpräsident Berlusconi: Durchmogeln mit wechselnden MehrheitenItaliens Ministerpräsident Berlusconi: Durchmogeln mit wechselnden Mehrheiten

29. September 2010

Der italienische Ministerpräsident Berlusconi wollte erstmals seit der Sommerpause im Parlament seine Mehrheit demonstrieren und über sein Regierungsprogramm bis 2013 abstimmen lassen. Bei den Umfragen auf der Straße verfügt er statt über 40 – wie noch zu Anfang des Jahres – nur über 30 Prozent der Wählergunst.

Er würde zwar bei Wahlen wieder gewinnen, heißt es weiter, aber so, wie er im Volk die uneingeschränkte Unterstützung verlor, muss er in Abgeordnetenhaus und Senat nach Partnern suchen. Das Bündnis mit der rechten „Lega Nord“ scheint stabil zu sein. Aber seitdem er kurz vor den Sommerferien Gianfranco Fini aus der gemeinsam gegründeten Bewegung „Volk der Freiheit“ (PdL) hinauswarf, hat er keine eigene Mehrheit mehr. Es fehlen ihm dessen 36 Abgeordnete und 10 „Finianer“ im Senat.

Öffentlich gedemütigt

Angenehme Aufheiterung: Berlusconi im Gespräch mit der Abgeordneten Alessandra MussoliniAngenehme Aufheiterung: Berlusconi im Gespräch mit der Abgeordneten Alessandra Mussolini

In den Sommerferien versuchte Berlusconi, Abgeordnete anderswo in der Mitte für sich zu sammeln. Vor wenigen Tagen hieß es noch, er habe eine Gruppe von zwanzig Abgeordneten gefunden, die es sich als „Verantwortungsbewusste“ zur Aufgabe machen wollten, Berlusconis Mehrheit zu sichern.

Aber nachdem die Nachricht mit den Fotos dieser Personen im „Corriere della Sera“ veröffentlicht worden war, hagelte es Dementis. In wenigen Stunden war die Gruppe von 20 auf sechs Abgeordnete geschrumpft; zu wenig für eine Mehrheit. Peinlich war, dass Berlusconi offenbar selbst den Triumph über die 20 Getreuen an die Presse gegeben hatte und nun gedemütigt wurde.

Finanzstaatssekretär mit Verbindungen zum organisierten Verbrechen?

Tage später konnte Berlusconi einen kleinen Sieg verbuchen. Obwohl alle „Finianer“ im Parlament dafür stimmen wollten, dass im Prozess gegen den früheren Finanzstaatssekretär Nicola Cosentino die Abhörprotokolle verwendet werden, wie es die Staatsanwaltschaft verlangt, konnte sich Berlusconi – wenn auch knapp – durchsetzen. Seine Mehrheit will die Protokolle nicht genutzt wissen.

Cosentino aus der Mafia-Hochburg Casal di Principe in der Region Kampanien hatte im Juli sein Amt aufgegeben, als gegen ihn ein Misstrauensvotum im Parlament drohte. Die Staatsanwälte werfen ihm vor, er unterhalte Verbindungen zum organisierten Verbrechen der Camorra. Unbestreitbar ist, dass er ein Vertrauter Berlusconis war, bis der ihn im Sommer fallen ließ.

Berlusconi möchte Cosentino und andere Verdächtige wie den nationalen Koordinator der PdL Denis Verdini vor Verurteilungen schützen. Denn nur wenn ihm das gelingt, ist er attraktiv für all jene Abgeordnete, die auch Verfahren fürchten, und kann sich deren Unterstützung gewiss sein. Gelingt ihm das nicht, sinkt Berlusconis Stern weiter.

Vertrauensabstimmung im Parlament

Berlusconi misstraut ihm: Gianfranco FiniBerlusconi misstraut ihm: Gianfranco Fini

Berlusconi traue sowieso nur Politikern, die von ihm abhängig seien, sagte dieser Tage ein Senator der christlich demokratischen UDC der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Den „Finianern“ misstraut er in jedem Fall, obwohl sie ihn im Grundsatz – auch wenn sie nun eine eigene Fraktion bilden – bei allen Abstimmungen unterstützen wollen, bei denen Berlusconi das noch gemeinsam aufgestellte Regierungsprogramm verwirklicht oder wenn er bei anderen Gesetzesvorhaben im Rahmen der Verfassung agiert.

Die Vertrauensabstimmung im Parlament am Mittwoch abend gewann der Regierungschef. 342 Abgeordnete stimmten für Berlusconi, 275 gegen ihn. Zuvor hatte er das Regierungslager zur Einigkeit aufgerufen. Italien könne sich keine Phase der Instabilität leisten, sagte er bei der Vorstellung seines Programms für den Rest der Legislaturperiode. In seinem Fünf-Punkte-Programm kündigte Berlusconi eine Reform des Justizwesens, eine stärke finanzielle Autonomie der Regionen sowie einen verstärkten Kampf gegen das organisierte Verbrechen und die illegale Zuwanderung an. Außerdem will er dem armen Süden mehr unter die Arme greifen. (Siehe auch: Video: Berlusconi erhält Vertrauen)

Misstrauen und Hass

Das aber reicht Berlusconi nicht. Das Misstrauen zwischen ihm und Fini scheint bis zum Hass gewachsen zu sein. Berlusconi vermutet, Fini wolle ihn nur so lange an der Macht sehen und stets in Abhängigkeit und Schwäche, bis ihm selbst das Amt des Regierungschefs – am besten ohne Wahlen – in den Schoß falle. Fini seinerseits verachtet Berlusconi dafür, dass dieser ständig versuche, in „fremden Gärten sein Kraut zu ernten“.

Seit Monaten nämlich wildert Berlusconi im „Garten“ der politischen Mitte. Die Abgeordneten der UDC locken ihn dabei offenbar am meisten. Deren Parteichef Pier Ferdinando Casini, der schon im Frühsommer dieser Zeitung gesagt hatte, er wolle sich Berlusconi nicht als Mehrheitsbeschaffer opfern, bleibt bei seinem Nein. Zugleich aber scheint es vor allem auf Sizilien UDC-Abgeordnete zu geben, die Berlusconi stützen wollen und eine Spaltung der Partei riskieren.

So hart scheint derzeit im UDC gekämpft zu werden, dass der Politologe und UDC-Vizepräsident des Senats, Rocco Buttiglione, ein Abendessen mit dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Stefan Mappus abbrechen musste, um zu einer UDC-Krisensitzung zu eilen. Die Sizilianer „machen Probleme“, murrte er nur.

Zwischen Berlusconis PdL und dem linksbürgerlichen Lager der Demokratischen Partei (PD) gibt es fünf kleinere Parteien – die UDC ist davon die größte – die ohne die Fraktion der „Finianer“ Berlusconis Mehrheit sichern könnten. Sie könnten freilich auch nach links abdriften und versuchen, Berlusconi zu stürzen.

„Bruch mit rechts“?

Der bald 60 Jahre alte Raffaele Lombardo, Präsident der Region Sizilien, machte Berlusconi dieser Tage vor, wie man so eine „andere Mehrheit“ bildet. Er warf alle PdL-Mitglieder aus seiner bisherigen Regionalregierung und holte sich die „Finianer“, die Christlichen Demokraten und sogar Mitglieder des PD hinein. Es ist das vierte Kabinett des Parteichefs der „Bewegung für die Autonomie“ (MpA) innerhalb von drei Jahren, und deswegen geben wenige seinem Kurswechsel eine größere Bedeutung. Bisweilen aber heißt es auch, Sizilien zeige oft die Richtung der zukünftigen italienischen Politik an.

Lombardo nutzte den internen Streit zwischen sizilianischen PdL-Politikern aus und flickte sich eine Regierung zusammen, die der wachsenden Stimmung auf der Insel folgt und kompromisslos gegen das organisierte Verbrechen vorgehen will. Er sammelte keine überregional bekannten Köpfe, übersprang aber eine bisher rote Linie. Eigentlich zur Rechten gehörende Politiker sitzen nun neben Linken des PD, die in Rom eindeutig zur Berlusconi-Opposition zählen. Aber das ist nicht das Signal von Palermo: Lombardo schaffte es vielmehr, Parteibindungen zu durchbrechen. Er bewies, dass vielen Personen Einfluss wichtiger ist als ihre Parteizugehörigkeit. Die Parteiführer erscheinen als zu schwach, ihr Völkchen beieinander zu halten.

Lombardo, selbst einst Christlicher Demokrat, verschärfte so unter anderem die Spannungen in der UDC, die ein paar Tage später Buttiglione zu einer Sondersitzung seiner Parteiführung treiben sollten. Lombardo hatte nur einen UDC-Mann aus dem Lager von Parteichef Casini in die Koalition gebeten; die Mehrheit nicht. Lombardo spaltete auch die „Finianer“, die ihren bekanntesten regionalen Politiker, Nino Strano, nicht ins Kabinett brachten, weil der dem PD ein Dorn im Auge ist.

Und auch im PD fühle man sich nicht wohl, wird gesagt. Lombardo hatte versprechen müssen, dass sein „Bruch mit rechts“ unumkehrbar sei, aber er hat diesen Schwur in Rom längst gebrochen: Lombardos Autonomie-Partei MpA will Berlusconi stützen.

Der Blick nach Sizilien lehrt mithin nur, dass die politische Mitte weitgehend aus Individuen ohne Orientierung besteht, und das bietet Berlusconi jede Chance, mit wechselnden Mehrheiten durch diverse Grüppchen zwischen PdL und PD an sein Ziel 2013 zu gelangen.

© reuters

Quelle:  Aktuelle Nachrichten online - FAZ.NET (text) -AFP, dapd, REUTERS (bildmaterial)

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Caravaggio: Meister der Irritation

Drei neue Bücher zu dem italienischen Barockmaler Michelangelo Merisi da Caravaggio

Aus Anlass seines 400. Todestages wurde Caravaggio in diesem Jahr nicht nur mit zahlreichen Ausstellungen geehrt – es sind auch diverse Publikationen aufgelegt worden, die Leben und Werk neu zu beleuchten und das eine oder andere Geheimnis aufzuklären suchen.

Lorenz Enderlein

Ein Maler, der verzweifelt den Strand zwischen Palò und Porto Ercole entlangwandert, um ein Boot mit dreien seiner Bilder zu verfolgen; ein Sterbender vor den schäbigen Wänden seines letzten Aufenthaltes – immer wieder hat das Ende von Caravaggios unstetem Wanderleben am 18. Juli 1610 die Phantasie der Biografen beflügelt. Bild geworden ist es in den Halluzinationen auf dem Totenbett, von dem aus Derek Jarmans Film «Caravaggio» das Leben des Künstlers in hochstilisierten Tableaus Revue passieren lässt.

Gerüchte von Verfolgung und Vergiftung umhüllen den Tod des aus dem süditalienischen Exil zurückgekehrten Caravaggio mit der Aura des Geheimnisses – völlig gelöst ist es bis heute nicht. Und es ist wohl auch dieses Geheimnis, um dessentwillen man jüngst den publikumswirksamen Transport einer Anzahl menschlicher Gebeine aus dem kleinen Ferienort am Meer in die römische Hauptstadt veranlasst hat. Eine gentechnische Untersuchung soll letzte Gewissheit geben über das Ableben Caravaggios: Übrig bleiben Reliquien in einem medialen Kultgeschehen, das in diesem Jahr – 400 Jahre nach seinem Tod – um den Künstler inszeniert wird.

Sehen und Staunen

Caravaggios Anziehungskraft ist seit Jahren ungebrochen, Ausstellungen seiner Bilder sind eine regelmässig wiederkehrende Konstante im Kulturbetrieb, in denen auch die Gegenwärtigkeit seiner Kunst abgerufen wird, so in der Konfrontation mit dem englischen Maler Francis Bacon im vergangenen Jahr in der römischen Villa Borghese. Caravaggio bleibt ein Publikumsmagnet. In dichten Trauben umlagerten die Besucher die wenigen imposant inszenierten Werke des Meisters in den Scuderie des Quirinals, der gerade zu Ende gegangenen Caravaggio-Schau.

Ungebrochen ist auch die Faszination der Kunstgeschichte durch das in seinen Grenzen so schwer zu sichernde Œuvre, das schon zu Lebzeiten des Künstlers Gegenstand eifrigen Kopierens und Nachahmens gewesen ist.

Philipp Sohm von der University of Toronto hat jüngst in einer Statistik nachgewiesen, dass die kunsthistorische Textproduktion zu Caravaggio etwa die zu Michelangelo, der noch vor 20 Jahren die Rangliste der Lieblingskinder der Kunstgeschichte anführte, weit überrundet hat. Eine Tatsache, die wohl nicht allein auf seine Reputation als Peintre maudit zurückzuführen ist, sondern vor allem auch Ergebnis des Iconic Turn der letzten Jahre sein dürfte. So wird es kaum ein Zufall sein, wenn noch David Summers seine prominente Michelangelo-Monografie von 1980 unter dem Titel «Michelangelo and the Language of Arts» herausgab, Sybille Ebert-Schifferer aber ihren im letzten Jahr erschienenen Caravaggio-Band unter das Motto «Sehen – Staunen – Glauben» stellte.

Stefania Macioces monumentale Quellensammlung zu Leben und Werk von 2003 (zweite, erweiterte Auflage 2010) hat neben den bekannten Dokumenten auch die bis zu diesem Zeitpunkt erschienenen 3000 Literaturtitel zum Künstler zusammengestellt. Ein Umstand, der keinerlei abschreckende Wirkung zu besitzen scheint, in den letzten Jahren sind mehrere hundert hinzugekommen, darunter zahlreiche neue Gesamtdarstellungen, weitere, etwa von Rudolf Preimesberger und Klaus Krüger, sind angekündigt.

Strenge Auswahl

Obwohl die deutschsprachige Kunstgeschichte in Herwarth Röttgen einen ausgewiesenen Caravaggio-Spezialisten besitzt, fehlten grössere Monografien auf dem deutschen Buchmarkt bisher weitgehend. Dies hat sich im Caravaggio-Jahr grundlegend verändert. Drei Buchpublikationen sollen hier vorgestellt werden.

Sybille Ebert-Schifferers Bildband zu Leben und Werk des Künstlers ist sehr elegant ausgestattet. Eins der Hauptanliegen ihres Buches ist es erklärtermassen, Werk und Person des Malers von den zahllosen Legendenbildungen zu befreien, die ihn schon zu Lebzeiten umgaben und den grossen englischen Kunstkritiker Roger Fry noch 1905 zu der Bemerkung veranlassten, Caravaggio sei der erste «Moderne». Die Autorin filtert überlieferte Arbeiten und Nachrichten durch eine selbstauferlegte Restriktivität, die sich von unsicheren Zuschreibungen fernhält und die überlieferten Nachrichten zu Caravaggio streng zu kontextualisieren versucht.

Auffällig ist dabei der betont unspektakuläre Blick auf das skandalumwitterte Leben des Malers. Das Anliegen, biografische Phänomene zu historisieren und, vor allem im Blick auf Caravaggios Bilder, zu relativieren, prägt allerdings nicht nur die vorliegende Monografie, sondern die gesamte seriöse Caravaggio-Literatur dieser Jahre. Die Tendenz, Caravaggio als intellektuellen Künstler, als Pictor doctus, wahrzunehmen, zeichnet sich spätestens seit den 1950er Jahren ab. Das Bild des von einer nächtlichen Polizeipatrouille mit Schwert und Zirkel aufgegriffenen Künstlers ist emblematisch geworden für eine Persönlichkeit zwischen Kunst und Gewalt.

Die Autorin zeichnet den in vieler Hinsicht konventionellen Ausbildungsweg des Michelangelo Merisi aus dem lombardischen Städtchen Caravaggio nach und rekonstruiert den Aufstieg in das Milieu der römischen Kurie und den damit verbundenen Aufbau eines Systems von Verbindungen, das Aufträge und Absatz seiner Bilder garantierte. Gerade die eigentlich monografischen Kapitel des Buches dürfen als gelungene Realisierung eines modernen Typus der Künstlermonografie gelten. Von den ersten Seiten an ist der Leser in ein geschickt aufgebautes Netz von Informationen eingebunden, aus dem Bildherstellung und Deutung in einem Wechselspiel historischer Daten, kunsttheoretischer Diskurse und künstlerischer Praxis aufscheinen. Die Bestellung und Produktion der Bilder wie die aufgeregten Diskussionen der Zeitgenossen über sie entfalten sich vor einem lebendig rekonstruierten Bild der römischen Metropole in den Jahren vor und nach 1600.

Die spektakulären Bilderfindungen, mit denen Caravaggio die Vorstellungen vom religiösen Altar- und Historienbild in dieser Zeit revolutionierte, werden als Teil seiner Marketingstrategie interpretiert. Unter die Idee einer gezielten Imageproduktion und -vermarktung werden auch die Verhaltensformen des Malers subsumiert. Das oft beobachtete Rowdytum, die nächtlichen Händel, die wiederholten Gefängnisaufenthalte werden als Begleiterscheinungen des Aufstiegs in die Kreise des römischen Adels festgemacht.

Marketingstrategien

Eine solche Annahme wirkt angesichts von Caravaggios kometenhaftem Aufstieg und Fall natürlich verführerisch, obwohl sie ihre Verflechtung in das PR-Zeitalter ebenso offenbart wie Frys die in das Zeitalter der Avantgarden. Man hat bei der Lektüre der Quellen doch allerdings unwillkürlich den Eindruck, dass Caravaggio die Situation seines Nachtlebens bis zum Mord an Ranuccio Tomassoni 1606 immer weiter entglitten ist.

Gleichsam in Form einer Postille ist auch das Unbehagen der gegenwärtigen Forschung angesichts der Vorstellung von Caravaggios Homosexualität artikuliert, die noch für Herwarth Röttgen in Bildern wie dem Berliner Amor deutlich rekonstruierbar war und die den Film Derek Jarmans in programmatischer Weise geprägt hat. Die kargen Äusserungen der Zeitgenossen zu Lustknaben des Malers oder bei ihm schlafenden Lehrlingen stehen denen von seiner aktiven Verflechtung ins heterosexuelle Prostituiertenmilieu gegenüber. Die Bemerkung, dass Homosexualität eher als spontane Normabweichung denn als Identität gelebt wurde, mag grundsätzlich zutreffen. Die Deutungsarbeit hinsichtlich der Integration auch eines homoerotischen Themenspektrums in den amourösen Diskurs der frühen Neuzeit, das sich, auch angesichts der Platon-Rezeption unter den Mitgliedern der römischen Kurie um 1600, im Angesicht von Caravaggios Bildern mitunter aufdrängt, dürfte jedoch noch zu leisten sein.

Brillante Reproduktionen

In der Reihe seiner grossformatigen Künstlermonografien hat der Taschen-Verlag nun auch einen Caravaggio auf den Markt gebracht. In das durchschnittliche Regalfach passt Sebastian Schützes «Caravaggio. Das vollständige Werk» kaum, nicht umsonst hat der Verlag passende Tische für diese Art Publikationen entwickeln lassen. So liegt das Buch, gewollt oder ungewollt, immer griffbereit, was einer regelmässigen Betrachtung der brillanten Gemäldereproduktionen zugutekommt. Zahlreiche überlebensgrosse Detailaufnahmen laden zu überraschenden Entdeckungen ein. Im Text war vom Autor ein Balanceakt gefordert, einerseits ein breiteres Publikum zu bedienen – der Bildband erschien in hoher Auflage zeitgleich in Englisch, Französisch und Italienisch – und andererseits die Caravaggio-Forschung wenigstens andeutungsweise zu ihrem Recht kommen zu lassen. Der dabei entstandene Kompromiss prägt das Gesamtkonzept des Bandes. Der Lebensweg und die Hauptwerke Caravaggios sind in einem fünfteiligen Essay untergebracht, der sich streng an die wichtigsten biografischen Stationen des Malers hält: Die Jugend und die Ausbildung in der Lombardei, die Entwicklung zur künstlerischen Autonomie in Rom, die grossen Aufträge für religiöse Werke, die letzten Jahre in Süditalien, die Ausstrahlung. Die einzelnen Bilder sind im Kontext ihrer Auftragssituation besprochen. Das Buch zeichnet sich durch einen ausführlichen Katalogteil relativ gesicherter Arbeiten Caravaggios aus – hier ist Schütze übrigens weniger restriktiv als Ebert-Schifferers Monografie –, denen eine Zahl unsicherer Zuschreibungen folgen. Die Informationen sind in diesen Katalogeinträgen erneut zusammengefasst und auf diese Art mühelos greifbar. Die betont sachlichen Beschreibungen, der Hang zur klaren Aussage, die bei der Bildlektüre mitunter dezidiert, aber gleichsam unterschwellig in der gegenwärtigen Forschungsdiskussion Position bezieht, haben es allerdings manchmal etwas schwer, auch verbal die Faszination zu vermitteln, die Caravaggios Bilder noch heute auf den Wissenschafter wie das «Laienpublikum» ausüben.

Bildwissenschaftliche Diskurse

Im Gegensatz dazu hat die ebenfalls Ende vergangenen Jahres beim Akademie-Verlag in Berlin erschienene Habilitationsschrift von Valeska von Rosen gerade die Uneindeutigkeit einer Vielzahl von Caravaggios Bildern ins Visier genommen, die noch heute offene Diskussionen über ihren eigentlichen Darstellungsinhalt ausgelöst hat. Der Titel «Caravaggio und die Grenzen des Darstellbaren. Ambiguität, Ironie und Performativität in der Malerei um 1600» verrät seine Anbindung an aktuelle bildwissenschaftliche Diskurse und nähert sich dem Künstler in einer Reihe von Problemstudien, die teilweise bereits zuvor als gesonderte Texte erschienen waren. In allen Analysen geht es darum, die Caravaggios Bildern zugrundeliegenden Gestaltungsprinzipien an die zeitgenössische Kunstpraxis zurückzubinden, ohne dabei immer auf schriftliche Äusserungen der Kunsttheorie des 17. Jahrhunderts zurückgreifen zu können. Die «Grenzen des Darstellbaren» betreffen den spannungsvollen Umgang des Malers mit den bildnerischen Normen seiner Zeit, den sich in dieser Zeit herausbildenden Bildgattungen ebenso wie dem gegenreformatorischen Diskurs um die Möglichkeiten und Aufgaben des religiösen Bildes überhaupt.

Der erste Teil des Buches umkreist ein Phänomen in Caravaggios Arbeiten, das die Autorin mit der Performativität seiner Bilder zu charakterisieren versucht. Der aus der Sprachphilosophie stammende Begriff des «Performativen» ist ursprünglich in die Caravaggio-Forschung eingeführt worden, um die vielfach zu beobachtende Referenz auf die Malsituation, das Modellsitzen, also den Verweis auf die Produktion des Bildes, zu beschreiben. Das Konzept ist bei von Rosen deutlich ausgeweitet, betrifft die Kennzeichnung der Situation im Atelier, die Kenntlichmachung der Bildakteure als Rollenträger, aber auch andere grundsätzliche Aspekte des Theatralischen in Caravaggios Bildern, wie Beleuchtungseffekte oder die Nähe zu theatertechnischen Erfindungen der Epoche. Für alle diese Eigenheiten ergibt sich ein für die Bilder typisches Spannungsverhältnis zwischen Nähe einerseits, die aus den Close-ups der Ausschnitte und der mimetischen Qualität der Oberflächen resultiert, und Distanzierung andererseits – den Verweisen auf die Künstlichkeit der Bilder, auf die Ateliersituation oder den zitathaften Umgang Caravaggios mit Bilderfindungen seiner Kollegen.

Es sei hier allerdings Zweifel angemeldet, ob die Rollen- und Maskenspiele der Bildakteure und der Bilder selbst, die Valeska von Rosen selbst so treffend beschreibt, mit dem Begriff der Performativität sinnvoll erfasst sind. Auf vorgängige Handlungen oder Situationen verweisen Historien- oder Genrebilder doch allemal, und der explizite Verweis auf das gestellte Tableau im Bild dient dem Maler ja eigentlich vor allem dazu, in die Betrachtung des Bildes eine weitere Reflexionsebene einzuschieben.

Gezielte Ambiguität

Als zentrales Kriterium von Caravaggios Bildern fixiert die Autorin zudem die gezielte Ambiguität seiner Bildaussagen, die kunsttheoretisch mit dem antiken Konzept der gewollten Dunkelheit oder «obscuritas» des Sinns in Verbindung gebracht werden kann und ihrerseits auf höhere Wahrheiten verweisen sollte. Der spielerische Umgang mit Bildattributen, der Unklarheit eigentlich bedeutungsstiftender Gesten, der verfremdende Umgang mit künstlerischen Vorbildern, das Ausschöpfen der Ambivalenzen der frühneuzeitlichen Affekttheorie öffnen die Bilder einer diskursiven Form der Deutung, die sich von den Forderungen nach inhaltlicher Klarheit an das neue religiöse Bild um 1600 absetzte.

Nun gehören Verunklärungen, Verschleierungen und Verrätselungen zu den konstitutiven Bildstrategien vor allem im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, und Caravaggios künstlerische Herkunft aus dem Milieu der profanen Malerei des 16. Jahrhunderts prädestiniert ihn für die Rezeption derartiger Strategien. Letztlich ist es ja auch nicht eigentlich die Idee der Ambiguität, auch wenn über einzelne Bilddeutungen noch heute unvermindert gestritten wird. Es ist doch vielmehr die Tatsache, dass der Maler selbst mit der Spannung zwischen Evidenz und «obscuritas» spielt – der Zweifel, die Fragen an das Bild, das auf den ersten Blick physische Nähe und direkte Lesbarkeit suggeriert, stellen sich erst nach genauerem Hinsehen ein. Es ist diese Produktion von Irritation, die den Betrachter hinter der Epidermis perfekt gemalter Oberflächen auf die Scheinhaftigkeit des Bildes und die Welt der Täuschung verweist, und es ist sicher auch diese Irritation, die Caravaggio noch heute so aktuell und die fortdauernde Auseinandersetzung mit seinem Werk so zwingend macht.

Sybille Ebert-Schifferer: Caravaggio. Sehen – Staunen – Glauben. Der Maler und sein Werk. Beck-Verlag, München. 319 S. Sebastian Schütze: Caravaggio. Das vollständige Werk. Taschen-Verlag, Köln. 306 S. Valeska von Rosen: Caravaggio und die Grenzen des Darstellbaren. Ambiguität, Ironie und Performativität in der Malerei um 1600. Akademie-Verlag, Berlin. 326 S.

Quelle: Neue Zürcher Zeitung- 25. September 2010
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Portugal soll Schulden abbauen

OECD empfiehlt Mehrwertsteuer über 21 Prozent

Die OECD fordert von Portugal weitere Steuererhöhungen und
mehr Reformen bei Arbeit und Bildung. Vor allem müsse das Land seine
Schulden in den Griff bekommen, um so das Vertrauen der Investoren zu
stärken.

(sda/Reuters)
Eine weitere grosse Herausforderung sei, das Aussenhandelsdefizit
zurückzufahren und das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Dies geht aus
dem am Montag veröffentlichten Portugal-Bericht der Organisation für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Portugal ist in
der Euro-Krise wegen seiner hohen Staatsverschuldung ins Visier der
Finanzmärkte geraten. Dort wird das Land mit hohen Zinsen bestraft,
wenn es sich Geld leiht.

Portugal will seine Neuverschuldung in diesem Jahr auf 7,3 Prozent
der Wirtschaftsleistung senken, 2012 soll wieder die EU-Defizitgrenze
von drei Prozent eingehalten werden. Im vorigen Jahr lag das Defizit
noch etwa drei Mal so hoch. Die Regierung hat im Sommer ein Sparpaket
geschnürt. Zudem wurde die Mehrwertsteuer auf 21 Prozent erhöht, und
hohe Einkommen werden stärker besteuert.

Löhne bremsen

Die OECD forderte die Regierung in Lissabon nun auf, die
Mehrwertsteuer und die Vermögensteuer noch weiter zu erhöhen. Dies sei
am wenigsten wachstumsschädlich. Die Organisation plädiert zudem für
eine gemässigte Lohnpolitik im öffentlichen und privaten Sektor. Auch
müsse der Arbeitsmarkt flexibler werden, und die Bildungspolitik
verdiene mehr Aufmerksamkeit. OECD-Generalsektretär Angel Gurria
mahnte, es brauche weitreichende Strukturreformen, damit Portugals
Wirtschaft krisenfester werde.

NZZ Online – 27. September 2010

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Vergewaltigungen im Kongo

"Selten so kaltblütig geplant"

Die Milizionäre brandschatzten die Dörfer und
schändeten deren Bewohner. Laut einem UN-Bericht waren die
Vergewaltigungen von 300 Frauen im Kongo systematisch geplant.

Frau und Kind aus einem der überfallenen Dörfer© Marc Hoffer/AFP/Getty Images

Frau und Kind aus einem der überfallenen Dörfer

Wie aus einem Zwischenbericht hervorgeht, den der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf veröffentlichte, sind die Massenvergewaltigungen im Kongo
systematisch vorbereitet und durchgeführt worden. "Das Ausmaß und die
Perversion dieser Vergewaltigungen sind unvorstellbar", sagte
UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay: "Vergewaltigungen sind zwar
seit 15 Jahren ein großes Problem im Kongo, aber selten wurden sie so
systematisch und kaltblütig geplant und ausgeführt."

Begangen wurden die Verbrechen von mindestens 200 Kämpfern der
örtlichen Miliz Mai Mai Cheka, Rebellen der Demokratischen Kräfte für
die Befreiung Ruandas (FDLR) und Anhängern des desertierten Obersts
Emmanuel Nsengiyumva. Wie aus dem 15-seitigen Bericht hervorgeht,
überfielen sie 13 Dörfer in der kongolesischen Provinz Nord-Kivu. Zu
den Opfern gehörten 235 Frauen, 52 Mädchen, 13 Männer und drei Jungen.
Zusätzlich wurden mindestens 923 Häuser und 42 Geschäfte ausgeraubt und
niedergebrannt. 116 Menschen wurden zur Zwangsarbeit entführt.

Nach dem UN-Bericht handelte es sich um eine Strafaktion der Rebellen,
die in den Bewohnern der betroffenen Dörfer Verräter sahen. Sie sollten
mit den regulären Kräften der kongolesischen Armee sympathisiert haben.
Die Massenvergewaltigungen sollten die Opfer "brechen und demütigen".

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Neue Runden der geldpolitischen Lockerung und der Devisenmarktinterventionen

Weltwirtschaft und Finanzmärkte

Manipulationen der Wechselkurse als Gefahr

Die Intervention der japanischen Notenbank an den
Devisenmärkten scheint die Spielregeln verändert zu haben. In
Marktkreisen werden kompetitive Manipulationen der Wechselkurse nicht
mehr ausgeschlossen.

Ug.
⋅ Vor allem zwei Ereignisse haben in letzter Zeit Erwartungen an den
internationalen Finanzmärkten verschoben. Auf allgemein grosse
Beachtung gestossen ist wegen ihrer möglichen Konsequenzen die Änderung
einiger Worte in der jüngsten Verlautbarung der Notenbank der USA. Die
Ankündigung des Federal Open Market Committee, zu einer zusätzlichen
geldpolitischen Lockerung bereit zu sein, sofern dies nötig sei, um die
Inflation auf ein Niveau zurückzuführen (sprich zu erhöhen), das
konsistent sei mit der Erfüllung des Doppelmandates von grösstmöglicher
Beschäftigung und Preisstabilität, wird in Marktkreisen als Vorwarnung
für eine neue Runde der quantitativen Lockerung angesehen. Gleichzeitig
hat die nicht sterilisierte Intervention der japanischen Notenbank an
den Devisenmärkten zu Kommentaren geführt, in denen dieser Schritt als
eine quantitative Lockerung in anderer Form und als ein weiteres
Zeichen für wachsende Spannungen, sogar für kommende Währungskrisen,
bezeichnet wird.

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Nur geringe Wirkung

Der Nutzen einer neuen Runde der quantitativen Lockerung ist aber
umstritten – selbst bei einer Grössenordnung von 1 Bio. bis 2 Bio. $.
Der US-Marktkommentator John Mauldin erwartet keine grösseren Resultate
und bezieht sich dabei auf Modellrechnungen des früheren
Fed-Gouverneurs Larry Meyer und auf Morgan Stanley: Sollte die
Notenbank für 2 Bio. $ Aktiva am Markt erwerben, werde sich das
Wirtschaftswachstum 2012 bestenfalls um 0,4 Prozentpunkte erhöhen und
die Arbeitslosigkeit um 0,5 Punkte reduzieren. Dies wäre, in Mauldins
Worten, «not much bang for the buck».

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Video: Wie weiter mit Dollar, Yen, Pfund und Euro?

David Bloom, Globaler Chef Währungen, HSBC Group: «Die grossen Weltwährungen kriegen Konkurrenz».

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Die eigentliche Wirkung zusätzlicher Käufe von Aktiva dürfte auf
einer ganz anderen Ebene liegen: Der Dollarkurs würde sinken, wodurch
die Gefahr einer Deflation in den USA reduziert würde. Auch könnten
sich über diese Schiene Wirtschaftswachstum und Beschäftigung
verbessern. Wenn die vom Federal Reserve angestrebte Strategie
tatsächlich ein tieferer Dollarkurs sei, habe eine neue Runde der
quantitativen Lockerung tatsächlich einen gewissen Sinn, meint Mauldin.
Ein offenes Bekenntnis der USA zu einer Strategie des schwächeren
Dollars sei aber nicht zu erwarten, denn man werfe ja anderen Ländern
wie China Kursmanipulation vor.

Gab Japan den Startschuss?

Die erste Intervention Japans an den Devisenmärkten seit 2004 sollte
eine weitere Höherbewertung des Yen gegenüber dem Dollar verhindern.
Der unmittelbare Auslöser waren aber Käufe von japanischen
Staatsanleihen durch China gewesen, das seine Politik der
Diversifizierung der Devisenreserven ausweitet und dabei den auf dem
Yen lastenden Aufwertungsdruck verstärkt. Hintergrund dieser
Diversifizierung ist, dass Chinas Aussenhandel mit Japan jenen mit den
USA mittlerweile übertrifft. Japans Reaktion auf die chinesischen Käufe
bedeutet allerdings in der Sicht einiger Kommentatoren, dass die
Bemühungen von Industrieländern, China und andere asiatische Staaten
von ihrer Politik der Manipulation der Wechselkurse auf tiefem Niveau
abzubringen, unglaubwürdig geworden sind.

Die Eingriffe zur Beeinflussung von Wechselkursen mehren sich. Wie
David Rosenberg von dem kanadischen Finanzhaus Gluskin Sheff betont,
ist zurzeit kein Land bereit, eine Politik der starken Währung zu
verfolgen. Japan interveniere direkt am Devisenmarkt, die USA und
Grossbritannien prüften eine weitere Lockerung der Geldpolitik, und
einige asiatische Staaten dächten trotz unterbewerteten Währungen über
ähnliche Schritte nach. Ein notorischer Kursmanipulator ist China. Auch
lateinamerikanische Länder wie Peru oder Kolumbien sind in das
eingestiegen, was Beobachter bereits als Abwertungsrennen bezeichnen.
Neu ist das Vorgehen Brasiliens, das sich die für den Kauf von
US-Dollars notwendige Liquidität auch durch zusätzliche Verschuldung
beschaffen will – «leveraged intervention».

Der Euro als Leidtragender

Steht eine Rückkehr zu einer «Beggar thy neighbor»-Politik bevor?
Marktkommentatoren sehen durchaus diese Gefahr und sprechen von der
Möglichkeit von kompetitiven Manipulationen der Wechselkurse. Vor allem
zwei Konsequenzen sind möglich: Durch die Entwertung des Fiat-Geldes,
der staatlichen Zahlungsmittel, wird der Preis für Gold als
alternatives Wertaufbewahrungsmittel weiter steigen. Der Leidtragende
von «Währungskriegen» dürfte der Euro sein, da die Europäische
Zentralbank als weniger anfällig für kompetitive Abwertungen gilt. Ein
starker Euro jetzt bedeute aber, meint John R. Taylor vom New Yorker
Hedge-Fund für Währungen, FX Concepts, ein sehr schwacher Euro in
Zukunft.


Norwegen klagt gegen die Citigroup

(sda) ⋅ Die US-Grossbank Citigroup gerät unter Beschuss. Norwegen fühlt
sich von der Bank getäuscht und verlangt für Verluste aus Geldanlagen
mehr als 835 Mio. $ Schadenersatz. Die norwegische Zentralbank, die die
Einnahmen aus den reichen Erdöl- und Gasvorkommen des Landes verwaltet,
hat eine Klage vor dem Bezirksgericht von Manhattan eingereicht.
Norwegen hatte seit Anfang 2007 in grossem Stil Aktien und Anleihen der
Citigroup gekauft. In der Finanzkrise verloren die Papiere massiv an
Wert. In der bereits am 17. September eingereichten, aber nun erst
öffentlich gewordenen Klage wirft die Zentralbank dem Wall-Street-Haus
vor, durch falsche Aussagen und zurückgehaltene Informationen den
desolaten Zustand der Citigroup verschleiert zu haben. Als der Markt
langsam die Wahrheit über die finanzielle Lage des Finanzhauses
erfahren habe, sei Citigroup beinahe pleitegegangen und der Kläger habe
einen beträchtlichen Teil seiner Investitionen verloren, heisst es in
der 221 Seiten umfassenden Klage. Die US-Regierung musste die Citigroup
mit 45 Mrd. $ stützen und ist noch immer an ihr beteiligt.

Neue Zürcher Zeitung – 27. September 2010

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Nassim «Black Swan» Taleb kritisiert die US-Wirtschaftspolitik

«Obama hat das Falsche getan»


Nassim Nicholas Taleb: Der Autor des «Schwarzen Schwans» ganz in schwarz.

Nassim Nicholas Taleb: Der Autor des «Schwarzen Schwans» ganz in schwarz. (Bild: PD)

Nassim Taleb geht hart mit Obamas Wirtschaftspolitik ins
Gericht: Dieser habe genau des Gegenteil von dem getan, was richtig
gewesen wäre. Anstatt das Wachstum mit mehr Schulden anzukurbeln, hätte
er von Beginn weg die Staatsschulden verkleinern sollen.

mtz.
Nassim Nicholas Taleb, der Bestsellerautor des «Schwarzen Schwanes»,
hat an einem Vortrag im kanadischen Montreal kein gutes Haar an der
Wirtschaftspolitik von US-Präsidenten Barack Obama gelassen. «Obama hat
genau das Gegenteil von dem getan, was man hätte tun sollen», sagte er
laut der Nachrichtenagentur Bloomberg. Die US-Regierung unter Obama
habe die amerikanische Wirtschaft geschwächt, indem sie versucht habe,
das Wachstum mittels Stimulus-Paket zu fördern anstatt die
Staatsschulden abzubauen.

So habe sich Obama mit Personen umgeben, die das Problem noch weiter
verschärft hätten. Taleb verglich die US-Wirtschaft mit einem
Krebskranken: «Gibt man einem Krebskranken Beruhigungsmittel, anstatt
ihm den Tumor zu entfernen, dann fühlt er sich zwar besser, aber der
Krebs wird dadurch schlimmer.» Heute sei in den USA sowohl die
Gesamtverschuldung als auch die Arbeitslosigkeit höher als 2008.

Geringe Schulden, sterbende Unternehmen

Regierungen müssen laut Taleb Schulden abbauen und dürfen künftig
keine schlingernden Unternehmen mehr retten. Dies sei der einzige Weg,
wie sie ihre Volkswirtschaften von den negativen Konsequenzen von
fehlerhaften Voraussagen bezüglich der Entwicklung des Staatshaushaltes
schützen können. «Heutzutage gibt es eine grosse Abhängigkeit von
Leuten, die nie fähig waren, irgendetwas korrekt vorherzusagen.»

Es gebe nur ein System, das geschützt sei vor Prognosefehlern: Es
sei dies ein System, das einerseits geringe Schulden aufweise und es
anderseits zulasse, dass Unternehmen sterben, wenn sie angeschlagen
seien. Taleb wies denn auch darauf hin, dass er innerhalb
der G7-Staaten Kanada aus Anlegerperspektive für das attraktivste Land
halte – deutlich vor den USA –, weil das Land von den grössten
Industriestaaten die geringste Nettoverschuldung aufweise.

«Mit Finanzmärkten Spass haben»

Taleb kritisierte zudem in seinem Vortrag die Bankbranche: Die
Banken würden ihre Kunden nicht angemessen über die Risiken warnen, die
diese eingingen, wenn sie ihre Vorsorgeersparnisse in Aktienanlagen
investierten. «Die Leute sollten die Finanzmärkte dazu nutzen, um Spass
zu haben, aber nicht als Depot für ihre Vermögenswerte.»

Die Anleger seien enttäuscht. Man habe ihnen erzählt, dass die
Märkte regelmässig nach oben gingen – in den letzten zehn Jahren sei
dies allerdings nicht der Fall gewesen. Die Risiken seien immer
grösser, als man dies den Leuten weismachen wolle.

NZZ Online – 27. September 2010

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For Indian Rape Laws, Change Is Slow to Come

NEW DELHI — Should a woman’s sexual experience and history be
introduced as evidence in the trial of her accused rapist? Will the
Indian legal system ever recognize forced sex between husband and wife
as rape? What constitutes the “modesty” of a 10-year-old girl?

A recent report by Human Rights Watch examining the common practice in India
of subjecting unmarried women who say they have been raped to what the
law calls a “finger test” has reopened a series of questions about the
country’s laws governing sexual violence. The report, compiled by Aruna
Kashyap, a women’s rights researcher, called for an end to the test,
which as the name suggests, involves inserting fingers into the woman
to measure “vaginal laxity” and thereby ascertain whether she was
“habituated to sex” before the alleged assault.

Although there has been no official response to the report, its
findings have provoked widespread outrage in India and elsewhere, with
many agreeing that the test is an archaic and scientifically
unsupported practice that could exacerbate the trauma of the victim.

In the same week the report was released, less noticed but telling were
the routine police reports filed around the country of alleged crimes
under Section 354 of the Indian Penal Code, which makes “outraging the
modesty of a woman” a criminal offense. One of the cases that came to
trial concerned a teacher who had “outraged the modesty” of a
10-year-old in his care. The euphemism effectively veiled the impact of
what had really happened — three separate incidents of sexual assault
on a child.

In a country where legal reform has been progressive in many spheres,
and where the judiciary has often taken an active role in protecting
human rights, the slow pace of change in the rape laws is evidence of a
larger cultural silence regarding violence against women.

Urvashi Butalia, a prominent feminist scholar and publisher, is blunt
in her analysis of the decades of official indifference that have
surrounded India’s laws on rape.

“Laws that relate to violence against women, as the rape law largely
does, are, in the eyes of the state, best forgotten or not bothered
about,” she said in an interview. “Or at least they don’t have the same
kind of urgency as, say, corporate legislation might.”

“This is still a society that somehow sees women differently, or does
not see them at all,” she said. “To me, indifference is much more
difficult to fight than active resistance. Resistance is visible.
Indifference is often so naturalized that it remains invisible and
therefore a major obstacle.”

The first major changes to the laws on rape, which had been inherited
almost intact from the days of British rule, only came in 1983. Before
then, a woman who said she had been raped had the obligation to prove
she had not given her consent.

And it was only this year that the government set up a committee to
consider whether the laws should be changed to define sex without
consent in marriage as a crime, whether they should be gender-neutral
to include the sexual abuse of men and boys, and whether the definition
of rape should be expanded to include penetration with objects.

The finger test — which ostensibly provides evidence of a woman’s level
of promiscuity and has, in some cases, led to rape charges being
dropped — is not the only hangover from the days of the Raj.

For Ms. Kashyap, the author of the Human Rights Watch report, the issue
goes beyond how the legal system handles rape to the question of how
rape is viewed by Indian society. The need for reform goes beyond the
law, she said; the need is to change how Indians see rape in the 21st
century, as an act of violence rather than an assault on a woman’s
chastity.

“Even in its current law-reform phase, the Indian government has
retained the coinage of ‘outraging’ or ‘insulting’ the ‘modesty’ of
women,” Ms. Kashyap said. “Sexual violence should be completely
delinked from patriarchal notions of ‘modesty,’ ‘chastity’ or
‘virginity,’ because ideas of so-called ‘modesty’ themselves perpetuate
violence and discrimination. The Indian government should acknowledge
that sexual violence is a violation of women’s dignity, equality,
sexual autonomy and bodily integrity.”

Underlying the finger test is an unspoken but very strong belief: the
idea that a promiscuous woman, or a sexually liberated woman, is fair
game, her “modesty” no longer the responsibility of the government to
protect.

“Outraging the modesty of a woman” now covers a wide range of cases, many of them unequivocal instances of violence.

The newspapers regularly report incidents in which women, chiefly from
the lower castes, are stripped and sometimes beaten as a act of revenge
against their communities or families.

In a case in July in a Mumbai slum, a young, lower-caste woman was
stripped by a mob of about 20 assailants in a case arising from a
dispute between families from different castes. Some of the attackers
recorded the assault on their mobile phones. Women’s rights advocates
have asked that the prison sentence for those convicted of such attacks
be extended from two to seven years. The news media still often refer
such assailants as “molesters.” A softening and denial of violence is
built into the system.

One 36-year-old woman knows this firsthand. She runs her own garment
export company in Ludhiana, the largest city in the northern state of
Punjab, and could be the prototype for the modern, successful Indian
woman. She is also divorced, from a man who raped her so brutally
during their 10-year marriage that she has had to undergo vaginal
reconstruction surgery. The law only recognizes a form of rape within
marriage in the case of girls under the age of 15, who are considered
minors whose unions are not legally valid. So she had to obtain her
divorce on other grounds.

“I want to tell the world, my family and friends, the truth — my
husband was a rapist,” said the woman, who spoke on condition of
anonymity to shield her family. “I can tell them about the beatings,
but not the rapes. We aren’t supposed to talk about these matters,
because they’re shameful. But if there was shame, there was also anger.
The anger of being told, ‘He was your husband, he had the right to do
this.’ Maybe for others, it will change. My pain has no voice.”

Source: NY Times by NILANJANA S. ROY – September 21, 2010

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Tschechien zieht Blauhelme aus dem Kosovo ab

(dapd) Tschechien will einen
Grossteil seiner Blauhelme aus dem Kosovo abziehen und dafür mehr
Soldaten in Afghanistan stationieren. 300 Mann sollten in den kommenden
Monaten nach Hause geholt werden und nur noch 90 im Kosovo verbleiben,
teilt das Verteidigungsministerium mit.

Die Regierung in Prag hatte vergangene Woche angekündigt, den
NATO-Einsatz in Afghanistan bis zum kommenden Jahr mit 200 weiteren
Soldaten zu unterstützen. Zurzeit sind mehr als 500 tschechische
Soldaten am Hindukusch stationiert.

NZZ Online – 27. September 2010

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